Sonntag, 18. Oktober 2020

Te amo

 


Foto: Ronald Spratte


Te amo auf spanisch, di amo auf italienisch bedeutet ich liebe dich. Aber welche Liebe ist hier gemeint? Wir Deutschen trennen gern Freundschaft und Liebe. Entweder sind wir befreundet oder in einer Partnerschaft. Und Partnerschaft verbinden wir mit Liebe. Ganz klar! Schwarz und weiß. Keine weiteren Fragen. Amen.

Stop! Ich möchte aus meinen Erfahrungen berichten, dass dazwischen noch viele leuchtende Farben liegen. Es gibt noch eine Liebe, die stärker ist als eine Freundschaft, aber doch keine Partnerschaft. Te amo.

In Südamerika habe ich Te amo schätzen gelernt. Zwischen Domi aus Argentinien und mir entstand eine tiefe und offene Beziehung. Keine Partnerschaft, aber weit mehr als eine Freundschaft. Das bedeutet, liebevoll den anderen an einem heranlassen oder dabei gleich an Sexualität zu denken. Ich glaube, hierin liegt der Schlüssel von Te amo. Natürlich kann man es nicht mit jedem tun. Es ist ein Geschenk. Und wenn man das Glück hat, Te amo geschenkt zu bekommen, sollte man den Mut haben es anzunehmen.

Ich lernte Domi bei einem Workshop für Performances kennen. Wir haben uns gleich gut verstanden. So fragte ich die tolle Tänzerin, ob wir zusammenarbeiten wollen. Sie sagte sofort JA. Bei den Proben gingen Domi und ich ganz offen und frei miteinander um. Alles lief von selbst und respektvoll. Ich habe es sehr genossen. Als wir im Januar 2015 die Performance ONE das erste Mal aufführten, waren die Zuschauer sehr erstaunt. „Wow, war das toll! So eine offene und ehrliche Nähe.“ Das war auch der Grund, warum die Jury beim internationalen Performancefestival 2018 in Sevilla uns den ersten Preis gab.

Domi ging zurück in ihre Heimat und lud mich nach Argentinien ein. In Buenos Aries liefen wir Hand in Hand durch die Straßen und umarmten uns überall wie ein Liebespaar. Ganz normal. Te amo halt.

Wenn man für die Zwischenräume von Freundschaft und Partnerschaft offen ist, darf man Te amo auch in Europa, in Deutschland oder wo auch immer erleben.

Im Herbst 2016 lernte ich eine deutsche Tänzerin in einem Cafe kennen. Wir verstanden uns gut und wollten zusammenarbeiten. Bei der ersten Probe bat sie mich, ihr mein Solostück zu zeigen. Klar gern. Als ich mit meinem Tanz fertig war, kullerten ihre Tränen. Sie kam auf mich zu und gab mir einen Kuss auf meine Lippen. Ich war erschrocken und genoss es zugleich.

Was war passiert? Wenn das Herz überläuft – egal, ob aus Freude oder Trauer – fließen die Tränen. Und wenn das Herz regiert, tun wir häufig Dinge, wo der Kopf oft nein sagen würde. Aus diesem Aspekt heraus, kann man Te amo auch als die Sprache des Herzens bezeichnen.

Wer jetzt glaubt, es funktioniert nur zwischen unterschiedlichen Geschlechtern, der liegt falsch. Ich habe auch viele männliche Freundschaften, die Te amo Charakter haben.

Graben wir weiter, entdecken wir weitere Erkenntnisse.

In den 1990er Jahren war ich beim CVJM Sachsen-Anhalt als Jugendleiter tätig. Unter anderem war es meine Aufgabe ältere Mitarbeiter in den Ruhestand zu verabschieden. Also habe ich eine kleine Feier organisiert. Und wie das so ist, fragt man, was war das lustigste Erlebnis etc. Auf die Frage "Was hättest du dir manchmal gewünscht?" antworteten 95% EINE UMARMUNG. Das hat mich zum Nachdenken gebracht.

Beim Forschen stoß ich auf das Buch "Human touch" von Rebecca Böhme. Darin untersucht sie wie wichtig Umarmungen und körperliche Nähe sind. Zwar wird das in Zeiten von Corona nicht gern gesehen. Trotzdem ist es lebensnotwendig. In ihrem Buch berichtet von einem Experiment wo Kinder isoliert aufgewachsen und nach wenigen Monaten gestorben sind.

Das Thema „Te amo“ beschäftigt mich weiter. So hatte ich im April 2019 ein besonderes Erlebnis. Ich saß in der Frauenkirche in Nürnberg. Meine Begleiter schauten sich die Kirche an. Ich betrachtete für mich allein den Altar mit dem bunten Fenster. Plötzlich öffnete sich für mich das Fenster und ich sah eine bunte Wiese. Ein warmer Wind blies mir ins Gesicht und sagte leise: "Die Welt braucht Zwischenmenschen. Menschen, die mehr sind als ein Freund und doch kein Partner. Und du hast diese besondere Begabung mitbekommen.". Dann schloß sich das Fenster wieder. Ich war baff. Hatte ich eben geträumt? Ich fragte meine Begleiter, ob sie etwas Eigenartiges bemerkt haben. Ja, es war auf einmal ein warmer Wind. Wow, dann war es doch kein Traum. Und ich hatte endlich eine Antwort auf meine Frage bekommen warum ich oft mehr bin als ein Freund.

 Wer das Geschenk Te amo für sich nicht zulässt, wird um einiges ärmer sein.

 Dürfen wir das zulassen? Ja, auch Christen dürfen es zulassen. Warum? Im 1. Korinther 13 heißt es. Alles, was wir ohne Liebe tun, ist nutzlos. Nur mit Liebe bringen wir Früchte. Und zweitens ist Gott zu Weihnachten Mensch geworden. Darum brauchen wir auch nicht frommer sein als Gott.

Wir dürfen Liebe, Zuneigung und Umarmungen zulassen.

Te amo.

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